Auf ging es in die zweite Hälfte des Marathons.

Bis hierher lief es weit besser als erwartet, aber es waren noch viele Kilometer bis ins Ziel.

Entweder die Straßenbahn gab ein wenig Gas oder ich war auf Kollisionskurs.

Ging aber gut.

Wo war Kilometer 23?? Der stand doch immer hier.

Jetzt stand der also hier. Ich war etwas irritiert, aber ich wußte ja, daß diese Kilometer etwas länger waren.

Der nicht offizielle zusätzliche Verpflegungsstand hier im Universitätsviertel war nicht mehr da. Das änderte auch die Strecke etwas.

Dieses Pendelstück war auch neu. Das gab 500 Meter extra. Autobahnzubringer.

Ich habe auch schon weniger seltsame Wendepunkte auf Pendelstrecken gesehen.

Nicht ganz korrekt platzierte Kilometerschilder sind das Eine. Tatsächlich gelaufene Extra-Meter sind aber etwas anderes. Die müßte man auch tatsächlich wieder einsparen.

Da war ja gespannt.

Der Kilometer 25 stand schon einmal früher als sonst.

27:22 Minuten auf den fünften fünf Kilometern. Also 2:17:20 Stunden insgesamt. 

Mit dem Tempo-Schnitt und einmal ausgehend von einer korrekten Rest-Streckenlänge konnte ich in den Bereich der Zeit vom 2019er Hamburg-Marathon kommen.

Vorbei ging es am Universum. Ich war immer noch nicht drin.

Der fünfte Verpflegungsstand. Coca-Cola wäre gut gewesen, kam aber erst später.

Hier trafen Halbmarathon und Marathon aufeinander.

Der Halbmarathon war genau zwei Stunden später gestartet.

Mit 3294 Läufern war das Feld des Halbmarathons deutlich größer als das Marathon-Feld. Zudem waren die Läufer sehr viel schneller als ich. Ich kam ins Feld derer, die auf 1:40 Stunden unterwegs waren.

Mit den vielen sehr schnellen Halbmarathon-Läufern in der Nähe war es schwierig, mein Tempo zu halten und nicht den anderen zu folgen.

Ich kam auch so schon an die Konditions-Grenze, hatte jetzt mehr Probleme, überhaupt weiter zu kommen.

Fast zwei Drittel waren durch. Irgendwas mit 2:33 Stunden hatte ich auf der Uhr. Da hatte ich seit dem Zusammentreffen mit dem Halbmarathon doch sehr aufs Tempo gedrückt. 

Das ging nun in Richtung 3:52 bis 3:53 Stunden. Bei einem Tempo, das ich vor mehr als drei Monaten zuletzt in einem kurzen Trainingslauf schaffte.

Würde ich jetzt noch acht bis neun Sekunden pro Kilometer schneller werden, könnte es doch noch Jahresbestzeit werden.

Jetzt wurde es allmählich doch wahnsinnig. Ich lief nun schon seit über 28 Kilometern ein Tempo, zu dem ich eigentlich gar nicht in der Lage hätte sein sollen. Und nun wollte ich noch etwas schneller werden.

Nun war ich gespannt auf die Zwischenzeit bei Kilometer 30.

25:54 Minuten für die sechsten fünf Kilometer. Was für ein Tempo-Sprung. Da hatten mich die Halbmarathon-Läufer ja richtig getrieben.

2:43:13 Stunden insgesamt. 5:26 Min/Km. Das würde nun für die Jahresbestzeit reichen.

Ich müßte das Tempo aber durchhalten.

Ich kam nun zum sechsten Verpflegungsstand. Endlich Coca-Cola.

Nun kam die Party-Meile in Findorff. Das machte es aber nicht zwingend einfacher.

Je enger die Strecke wurde, desto schwieriger wurde es, keinem Halbmarathon-Läufer im Weg zu stehen. Die waren immer noch klar schneller als ich.

Hinter Findorff kam wieder eine weniger spektakuläre Ecke.

Noch immer hat man keine Kopenhagener Schleuse in die Stecke eingebaut, um die Straßenbahnen durch die Läufer zu lotsen.

Kilometer für Kilometer kam ich der Jahresbestzeit näher. 

Zehn Kilometer vor dem Ziel lag meine Zeit so, daß ab hier ein Tempo von 5:30 Min/Km reichen würde.

Das müßte ich aber erst einmal laufen. Tatsächlich mußte ich nun etwas bremsen. Der Plan war ja mal gewesen, sich von den Halbmarathon-Läufern ziehen zu lassen. Statt dessen kämpfte ich seit Kilometer 26 sowohl gegen deren Masse als auch deren Tempo an.

Nun liefen wir in eine riesige Baustelle hinein. Das war ein ganz anderer Weg als sonst. Hier also sparten wir nun die Meter des Autobahnzubringers wieder ein.

Nun ging es über das Gelände der ehemaligen Kellogg's-Fabrik.

Auch hier wird demnächst ein neues Wohnviertel entstehen. Geplant wird noch bis 2028 gebuddelt. Das verspricht viele neue Strecken in den nächsten Jahren.

Über diese Rampe ging es Richtung Weserpromenade.

Jetzt kamen 4,3 Kilometer bis zum Weserstadion immer am Fluß entlang.

Eigentlich ganz schön hier, leider gab es nun ziemlichen frischen Gegenwind.

Coca-Cola. Wo ist die Coca-Cola? Ich brauchte dringend Coca-Cola. Die gab es wie üblich weiter hinten am siebten Verpflegungsstand.

26:08 Minuten für die siebten fünf Kilometer. Was ging denn hier ab? Wirklich langsamer war ich nicht geworden.

Jetzt reichte schon ein Tempo von 5:41 Min/Km auf dem restlichen Weg, um tatsächlich Jahresbestzeit zu laufen.

Gefühlt rannte ich schon lange auf der letzten Rille. Aber die Aussicht auf die ganz große Überraschung trieb mich noch weiter.

Oh... da lief jemand mit Anker herum. Das konnte doch nur einer sein. Aber den müßte ich erst einmal einholen.

Wieder lief ich den Kilometer schneller als notwendig. Ich versuchte ja, mich ein wenig zu bremsen, aber es klappte nicht wirklich.

Der Anker-Läufer konnte ja nur Thorsten Stohldreier sein. Mister Brandenburger Tor, Mister Elbphilharmonie, Schornsteinfeger... Da ist mit Anker laufen vergleichsweise einfach.

In der Ferne tauchte schon das Weserstation auf.

Immer noch hielt ich ein irres Tempo durch. Jetzt wären nur 6:00 Min/Km ausreichend, um sogar unter 3:50 Stunden zu bleiben.  

Die Weserpromenade war geschafft.

Jetzt kam das Weserstadion.

So schön die Rekord-Jagerei jedes Jahr durch Bremen auch ist, irgendwann möchte ich das Weserstadion auch mal in aller Ruhe durchlaufen.

Foto: Michael Burmeister

Foto: Michael Burmeister

Foto: Anke Förster

Weserstadion
12.58 Uhr / Km 38,5

Mit mehr Zeit könnte ich auch mal auf der Trainerbank Platz nehmen.

Der Lauf durch das Stadion ist aber auch so das Highlight der Marathon-Strecke.

Die Extra-Verpflegung direkt am Weserstadion hatte die Coca-Cola ganz vorne. Bei Werder weiß man was Fans wünschen.

Zwei Becher Coca-Cola kippte ich mir rein und weiter ging es.

Interessant. Und was bedeutet das für mein Tempo?

Hier an der Steigung hinauf zum Osterdeich nichts gutes. Schon an der Steigung hinaus aus dem Weserstadion war ich fast stehen geblieben. Hier erging es mir nicht besser. 

Jetzt wurde es richtig schwer. Nach 39 Kilometern in einem viel zu schnellen Tempo wurde es also auch für mich schwer. 

Aber auch das änderte nichts an meinem Tempo. Ich mußte das Tempo nicht hoch halten, ich konnte aber auch nicht bremsen.

26:13 Minuten für die achten fünf Kilometer. Völlig irre.

3:35:35 Stunden. Selbst mit 6:45 Min/Km wäre ich jetzt noch rechtzeitig im Ziel. 

Nun gab es nur noch wenige Halbmarathon-Läufer, die an mir vorbei zogen. Jetzt war ich es, der überholte.

Oh ja... das war mein Tag. So wie jeder Tag, an dem ich in Bremen Marathon lief.

Der neunte und auch letzte Verpflegungsstand. Schnell ein letzter Becher Coca-Cola und weiter.

Zum Finale gab es wie jedes Jahr "Desolation Row" (My Chemical Romance) und "Wings" (Birdy).

Mit dem Soundtrack lief ich gleich noch etwas schneller.

NOCH schneller? Ach... jetzt war der Wahnsinn auch egal.

Ich hatte alle nur denkbaren und undenkbaren Grenzen unterlaufen, da war das jetzt auch nichts besonderes mehr.

Die beiden Türme des St. Petri Doms lagen schon hinter dem Ziel.

Die Zuschauer trieben einen noch einmal an.

Jetzt nur noch über die eignen Beine oder die Schienen der Straßenbahn stolpern.

Ich rannte hier immer mit für mich seit langen unerreichten 4:50 Min/Km auf das Ziel zu.

308 Marathons und solch ein Zieleinlauf ist immer noch ein ganz besonderer Augenblick.

Foto: TaiHel

Und dann solch ein Marathon. Was ist das immer mit diesem Bremen-Marathon? Seit 2014 rannte ich hier jedes Mal um die 15 Minuten schneller als realistisch zu erwarten war. Jedes Mal war es am Ende Jahresbestzeit. 

Foto: Michael Strokosch

Aber 2019 übersteigerte ich diesen Wahnsinn noch bis ins Unermeßliche. 37 Minuten schneller als zu erwarten war. 37 Minuten beim Marathon!! Dazwischen liegt keine Welt, das ist eine Galaxie.

Foto: Tim Ernst

Nur zwei Wochen, nachdem ich in Otterndorf beinahe auf der Strecke kollabiert war, rannte ich hier nach 3:46:41 Stunden durchs Ziel. Das war eine neue persönliche Jahresbestzeit. 3:48 Minuten schneller als im Elbtunnel am 02. Juni 2019.

Foto: Tim Ernst

Hinter der Ziellinie ging ich neben der Bande erst einmal kurz auf die Knie runter. Ich mußte mal kurz auspusten.

Dann aber holte ich mir meine Medaille. Meine Marathon-Medaille Nr. 308. Geil.

Ich konnte es überhaupt nicht fassen. Das war weit mehr als unglaublich. Selbst hier in Bremen, so ich immer wieder sensationelle Läufe auf das Pflaster gelegt hatte, war das noch eine Liga für sich.

Zumindest in Punkto Ziel-Zeit war dies der mit Abstand unglaublichste Marathon meines Lebens.

Im völligen Freuden-Flash jubelte ich mich durch die anderes Finisher. Ich bekam mich gar nicht mehr unter Kontrolle. Müde konnte warten. Wann würde ich jemals wieder solche einen Lauf hinlegen.

Wenn überhaupt, dann am 04. Oktober 2020. Beim nächsten Marathon in Bremen.

Dann war es Zeit für die Ziel-Verpflegung und das Abholen meiner Klamotten. Irgendwann wurde es doch kühl.

Danach machte ich mich dann auf den Heimweg.

Am Morgen wäre ich noch jeden Deal eingegangen, der mir eine Zeit von 4:09 Stunden garantiert hätte. 3:59 Stunden waren völlig unrealistisch. Und 3:46:41 Stunden? Lächerlich. Das werde ich nie erklären können.

So bleibt im vierten Jahr in Folge die Jahresbestzeit in Bremen.

Mal abwarten, was dann 2020 passiert. Inzwischen halte ich nichts mehr für unmöglich.

Angemeldet habe ich mich, kaum daß ich zu Hause war. Dann laufe ich mit der "125", der Lieblingszahl meiner Tochter.