Im Grunde war ich bei diesem Marathon falsch. Schon in der Ausschreibung stand, daß der Brexit "mit Sicherheit kein Grund zu feiern" sei. Aber ich hatte gar nichts anderes vor, als zu feiern.

Nach einem sehr stressigem Arbeitstag, der auch noch zu früh enden mußte, damit ich pünktlich zum Start kommen konnte, hatte ich mich am 750 Meter entfernten Dammtor-Bahnhof umgezogen, dort die Klamotten verstaut und war dann hierhergeeilt.

Start, Verpflegung und Ziel waren vor dem Standort des britischen Honorarkonsuls platziert. Das paßte ja.

Die Wollmütze war bei 10°C etwas warm, aber es war auch leidlich windig und sollte noch regnen.

England fand ich schon immer toll, aber primär kann ich die EU nicht leiden. Ja, es bedarf einer starken europäischen Staatengemeinschaft, um ein Gegengewicht zu den großen Mächten wie Rußland, USA, China zu bilden. Das wurde erfolgreich bis 1992 aufgebaut und dann beginnend mit den Maastrichter Verträgen der  Macht- und Geldgier geopfert.

Die heutige EU hat mit einer Gemeinschaft nichts mehr zu tun. Da geht es nur noch um den eigenen Vorteil und das Abgreifen von soviel Geld wie nur möglich. Ein Bürokratie-Monster untergräbt hierfür mit beinahe schon diktatorischen die Demokratie. Wenn sich die gewählten Volksvertreter in den einzelnen Mitgliedsländern sogar lokale Entscheidungen von selbsternannten EU-Politikern abgegnen lassen müssen, dann gibt es keine völkerrechtliche Souveränität dieser Länder mehr.

(Foto: Christian)

Die Briten möchten aber ihre Souveränität nicht aufgeben und sie möchten auch nicht ihr Geld von der EU vernichtet sehen und sie wollen sich auch nicht länger durch EU-Regeln versklaven lassen. Gegen die Diktatur der EU-Bürokraten, für die Freiheit. Unterdrückte Staaten werden niemals eine starke Gemeinschaft bilden. Die Mehrzahl von Sklave ist Sklaven.

Hier aber hat die EU und ihre Fahne ausgedient. God Save The Queen.

Die meisten anderen Läufer nahmen die Veranstaltung ein wenig unpolitischer. Noch eine britische und eine EU-Fahne liefen mit.

Das erste Gruppenfoto beim Start und Ziel beim britischen Honorarkonsul.

21 Voranmeldungen gab es, eine Absage, 18 Teilnehnmer am Start. 

(Foto: Christian)

Das sah zumindest vereinzelt sehr ambitioniert aus. Hier am Start jedenfalls.

Andere Teilnehmer verließen sich hingegen darauf, daß der Start schon nicht pünktlich sein würde und kamen in letzter Sekunden dazu.

Schließlich konnte es dann endlich losgehen.

LosGEHEN war selten so passend wie an diesem Tag.

Die ersten etwa 2,6 Kilometer wurden als Gruppe absolviert.

Naja... einige waren ein wenig schneller unterwegs... andere etwas genußvoller...

Wichtig war zunächst nur, daß sich alle Läufer am nördlichen Wendepunkt, dem ehemaligen Generalkonsulatsstandort, wieder sammelten.

Hier wurde dann das zweite Gemeinschaftsfoto gemacht.

(Foto: Christian)

Danach ging es (weiter mehr oder weniger gemeinschaftlich) in Richtung Süden.

Ich nutze die Gelegenheit und verschwand rasch zur Toilette, holte das Feld danach bald wieder ein.

Christian entdeckte dann mein provokantes Rückenschild.

(Foto: Christian)

An der Ampel wartend wurden noch politische Diskussionen geführt. Noch immer war ja Gruppenlauf angesagt.

(Foto: Christian)

Eigentlich sollte der Lauf ja immer zwischen den Konsulat-Standorten  Harvesterhuder weg und Neuer Jungfernsteig pendeln, durch die Sperrung des Tunnels zwischen Außen- und Binnenalster hätte man dann ständig an den Ampeln warten müssen. Darum gab es das nur in Runde 1.

Problemfall Wendemarke. Wenn man so im Haufen um den Wendepunkt herum steht, wird das Drumherum-Laufen natürlich schwierig.

Also dann doch erst das dritte Gemeinschaftsfoto hier am Standort des Generalkonsulats bis 1952. Danach konnte man sich neu formieren und den Wendepunkt neu angehen.

(Foto: Christian)

Da ist sie. Die Katastrophen-Baustelle Lombardsbrücke. Sonst kann man dort von der Binnen- zur Außenalster den Tunnel durchlaufen. Jetzt ist der Tunnel bis (mindestens) Mitte 2021 dicht. 50 Meter ist der Tunnel lang. Der Umweg beträgt 5,2 Kilometer (!!!). Dabei wird im Tunnel nichts gebaut, der wird lediglich als Stellplatz für Material genutzt. Ohne Worte.

Nun ging es wieder Richtung Norden zu den Ampeln. Bis dort galt noch der Gruppen-Zwang.

Als die Ampel hier dann Grün wurde, war der Marathon frei gegeben. Nun durfte jeder so laufen wie er wollte oder er konnte.

Am Verpflegungsstand endete nach 3,265 Kilometern die Runde 1. 32:07 Minuten hatte das gedauert.

Nun folgten noch neun Runden mit jeweils 4,334 Kilometern Länge.

Gelaufen wurde jeweils wie in der ersten Runde bis zum Harvestehuder Weg, dann zurück, die Außenalster lang, über die Kennedybrücke bis kurz hinter die Gurlitt-Insel, wieder wenden und bis zum Verpflegungsstand. Es wurde also gependelt.

Der Sonnenuntergang war um 16.59 Uhr. Wenn ich also noch Fotos von Mitläufern machen wollte, dann schnell.

Für die Fotos lief ich auf einer alternativen Route, die aber nicht kürzer als die offizielle Strecke war.

Einige Mitläufer ließen sich irritieren und folgten mit. Die schickte ich auf die richtige Strecke zurück.

Auf Höhe der Gurlitt-Insel der andere Wendepunkt.

Für den Lauf hatte ich mir die Fahnen unter eines der Shirts gesteckt. Manchmal rutschte sie etwas weit raus und ich mußte sie zurecht rücken, aber es lief sich prima damit.

(Foto: Christian)

Der Verpflegungsstand war vom Weg hier nicht zu sehen, sondern stand 20 Meter links hinter einer Reihe Autos. Also war der Baum hier rechts die Markierung für das Ende der Runde.

28:18 Minuten für die zweite Runde, die erste vollständige.

Sport wurde auch auf der Außenalster betrieben.

In Runde 3 mußte ich schon wieder zum Klo. Vielleicht gefiel mir auch einfach, daß es kostenlos und warm war.

Meine Gruppe, mit der ich bis dahin gelaufen war, hatte ich dadurch verloren, aber auf der Pendelstrecke ging man sich ja nie wirklich verloren.

Eine sehr ärgerliche Baustelle. Ein Jahr ist für die Sanierung der Lombardsbrücke geplant. Danach (!!) erst kommt die Unterführung dran.

Im Norden der Außenalster wurde die   Krugkoppelbrücke saniert. Fünf Monate waren geplant. Anderthalb Jahre wurden es. Wenn ich das auf die Lombardsbrücke hoch rechnen... oh Graus...

Aber hier konnten wir laufen. Die Pendelstrecke umfaßte einen Teil der Außenalster-Runde, die ich auf Grund der weiten Umleitung um den Lombardstunnel herum, nur noch bei sehr langen Läufen anlaufen kann.

30:01 Minuten für die dritte Runde. Die Pinkelpause riß mich etwas runter.

Der Standort des britischen Honorarkonsuls vom Weg an der Außenalster gesehen. Der Verpflegungsstand befindet sich rechts, wo die zwei gelben Läufer stehen.

Ich tat mich schwer. Anfangs plante ich ja 4:16 Stunden plus das Gemeinschaftsstück vom Beginn. Das wären dann 4:42 Stunden gewesen. Realistisch waren aber eher 5:00 Stunden.

Wobei ich durchaus ein Tempo hatte, mit dem gut zurecht kam und das ich auch durchhielt. Aber das würde hier noch um die drei Stunden dauern. Und im Dunkeln war die Strecke nicht so spannend.

Die Strecke war weitgehend flach, aber es ging 18 Male über die Kennedybrücke. Das summierte sich.

Und nur weil außér mir keiner den brutalen Anstieg beim US-Konsulat erkennen wollte, er war da. 10 Male rauf und 10 Male auch wieder runter. Der Jungfrau-Marathon ist nichts dagegen!!

Nicht nur im hellen fiel ich mit meiner Aufmachung auf. Auch im Dunkeln bekam ich immer wieder anerkennende Blicke und Applaus auch von Nicht-Teilnehmern.

29:14 und 30:14 Minuten für die Runden 4 und 5. Ab Ende Runde 4 lief ich dann den Verpflegungsstand an.

Eine genaue Halbmarathon-Marke gab es nicht, aber ich war so bei 2:34 Stunden. Aber in der zweiten Hälfte würde es kein Gruppen-Wandern mehr geben. Es sah also gut aus.

Weiter ging es mit der zweiten Hälfte.

Die Fahne hielt.

29:43 Minuten für Runde 6. Insgesamt nun schon 2:59:36 Stunden. 

Hier rechts war früher mal irgendwas französisches. Mit Fahne an der Fassade und so. Unvergessen. 11. Juni 2002. Mein erster Fahnenlauf. Ich rannte hier eine Viertelstunde mit der dänischen Fahne auf und ab. Die haben vielleicht stinkig geglotzt. :-))))))

In dieser Runde tat ich mich wieder etwas schwerer, aber insgesamt konnte ich mein Tempo halten.

Eine Pinkelpause inklusive dauerte meine siebte Runde 30:33 Minuten. Nun 3:30:09 Stunden insgesamt. Wollte ich unter fünf Stunden bleiben, dann sollte ich nicht langsamer werden.

Einen Linienverkehr gibt es nicht. Hier halten nur die Stadtrundfahrten. Aber eher weniger im Januar und nicht abends.

Wenn ich ansonsten mal die Außenalster umrunde, umlaufe ich diese Steigung immer. Der Weg ist dann zwar ein wenig länger, aber die Höhenmeter verteilen sich viel besser.

Nun legte ich wiederan Tempo zu. Mein britischer Soundtrack auf dem mp3-Player kam so allmählich zum Finale. Monty Python, Eurythmics, Electric Light Orchestra, Dire Straits.

Den Blick über Hamburgs Innenstadt gab es gratis zum Lauf dazu. 18 Male. 

Das Mahnma St. Nikolai, der Rathausturm, Binnenalster, Jungfernstieg, rechts das Alsterhaus.

Runde in 28:19 Minuten. Nun nur noch zwei Runden.

Die Baustelle hier stand zwar genau auf dem Weg, war aber kein Problem. Man kam gut links dran vorbei. Oder rechts über die Straße.

Links war der legale (einfach auf der Straße laufen darf man eigentlich ja nicht) und auch längere Weg. Wo Christian entlang gemessen hat, wußte ich nicht, lief zur Sicherheit die lange Variante.

So richtig dunkel wird es über Hamburg nie. Die Kamera half hier nur unwesendlich bei der Aufhellung mit.

Eigentlich liefen wir immer dieselbe Runde und eigentlich kannte ich die Strecke um die Außenalster auswendig. Aber die Strecke kam mit mit jeder Runde länger vor.

Besonders dieses Stück vom Hotel Atlantic zur Wende bei der Gurlitt-Insel wurde immer länger.

Stimmte natürlich nicht. Und verlaufen konnte man sich ja auch nicht.

28:29 Minuten für Runde 9. Prima. Nun hatte die Endzeit unter fünf Stunden so gut wie sicher. Die letzte Runde sollte in 33:02 Minuten zu schaffen sein.

Auf ging es. Nur noch einmal pendeln und fertig.

Den westlichen Wendepunkt hatte ich schon geschafft.

Zum großen Finale gab es die Nationalhymne (Version EM 1996, Halbfinale, Wembley Stadion), Love Actually und dann ging es richtig rund.

Last Night of the Proms:
"Fantasia On British Sea-Songs"
"Rule Britannia"
"Land Of Hope And Glory"
"Jerusalem"
"God Save The Queen"
"Auld Lang Syne"

Noch britischer konnte es gar nicht mehr werden. Die Fahne hatte ich inzwischen in meiner Hand.

Nun kam ich zum östlichen Wendepunkt, der kurz hinter den beiden Bäumen lag.

Den schmalem Durchgang zwischen den Bäumen habe ich ganz früher mal bei Läufen als Test genutzt, ob ich noch fit genug war. Kam ich ohne die Bäume zu berühren durch, war noch alles okay. Wenn nicht, lief ich eben trotzdem weiter.

Zwischen zwei Liedern gab es noch Zeit für ein Foto.

Ein 18. und letztes Mal ging es über die Kennedybrücke.

Tja... glückliche Briten und immerhin ein glücklicher deutscher Läufer. In unseren Land gibt es ja nicht mehr zu feiern.

Einen Endspurt gab es nicht. Ganz im Gegenteil nahm ich zum Ende Tempo raus. Ich hatte da eine ungewöhnlich lange Version von "God Save The Queen" erwischt (Last Night of the Proms 2011). Entsprechend zog ich den Lauf so in die Länge, daß ich mit dem letzten Ton ins Ziel kam.

Zum Auslaufen gab es dann die noch die "Auld Lang Syne". Perfekter geht es gar nicht.

27:22 Minuten für die letzte Runde. Wie so oft auch meine schnellste Runde des Tages.

4:54:19 Stunden hatte ich für den Marathon benötigt. Keine grandiose Zeit, aber so direkt nach der Arbeit und noch dazu Freitag war das okay. Ich war fast problemlos über den Kurs gekommen und hatte dabei reichlich gefeiert.

Meine Zeit reichte für Platz 4 von den 15 Teilnehmern. Und den Altersklassensieg in der M50.

Wir hatte ja noch gedacht, daß irgendwann jemand aus dem Haus des Honorarkonsul kommt und schaut, was wir da treiben. Aber wir sahen wohl weder zu gefährlich noch zu interessant aus.

Auf diese Medaille hatte ich lange warten müssen. Für den ersten Termin hatte ich mich schon am 22. Dezember 2018 angemeldet. Aber nun hatte ich sie ja. Nicht als Marathon-Medaille Nr. 284, sondern als die Nr. 321.

Bevor mir kalt wurde, machte ich mich auf den Weg zurück zum Bahnhof Dammtor zum Umziehen.

Ein schöner Marathon war es. Aber vor allem ein Tag der Freiheit für Großbritannien, zudem ein großer Sieg für die Demokratie. Von der ist in Europa zuletzt ja kaum noch etwas zu sehen gewesen. Nun machen uns die Briten vor, wie man es richtig macht.