30e Marathon du Médoc 2014
13. September 2014
Da mag man fragen, wie man es
schafft, ausgerechnet den Marathon du Médoc NICHT zu finishen. Nach 126
erfolgreichen
Marathon-Teilnahmen in Folge. Nur sechs Tage nach einer neuen persönlichen Bestzeit
über 10 Km (Alsterlauf, Hamburg,
39:36 Minuten) und sieben Tage vor einer persönlichen Bestzeit über den
Halbmarathon (HEK-Halbmarathon, Hamburg-
Wandsbek, 1:32:05 Stunden).
Aber vielleicht reicht es auch
einfach zu erzählen, daß ich über InterAir gebucht habe statt alles selbst zu
organisieren und
der Marathon in Frankreich stattfand.
Die Frage, was so alles
passieren können, damit ich mal einen Marathon nicht finishen würde, hatte ich
schon oft gehört.
Offener Beinbruch, Terror-Anschlag, Hitzschlag, Hundeattacke... irgend so etwas
halt. Aber daß ich selbst auf meinen
eigenen Beinen freiwillig von einer Marathonstrecke gehen würde schien
undenkbar. Dafür müßte dann doch schon einiges
zusammen kommen. Oder noch mehr.
Dabei ist die Antwort auf die
Frage ganz einfach. Der Grund, warum ich bei Kilometer 17,8 aus dem Marathon
ausstieg war:
Ich glaubte nicht mehr daran, daß man mir im Ziel eine Medaille
geben würde.
Nun darf man sich allerdings fragen, wie ein erfahrener Marathon-Läufer
auf eine solche Idee kommt und dann deswegen
einen Marathon abbricht, dem immerhin die zweitteuerste Anreise aller bisherigen
127 Marathons zugrunde lag. Die Antwort
ist dann aber ein wenig länger.
05.02.2009
Eigentlich beruhte die ganze Idee, den Marathon du Médoc zu laufen, von
Anfang an auf einem gewaltigen Fehler. Karneval
und ich passen einfach nicht zusammen. Trotzdem waren die Bilder von diesem Lauf
imposant und an der Lust auf verrückte
Marathons hat es mir noch nie gemangelt. Aber schon damals ging es mir gewaltig
auf den Keks, daß der Lauf ausgerechnet
in Frankreich stattfinden mußte. Ich würde also niemals den Marathon du Médoc
laufen können, ohne dabei nach Frankreich
reisen zu müssen. Eine sehr ungünstige Ausgangssituation.
Dennoch setzte ich den Lauf am 05.02.2009 auf meine Liste für Marathons, die ich
im Jahr 2014 unbedingt würde laufen wollen.
27.11.2013
Kaum war bei InterAir die Buchung möglich, haute ich in die Taste und
sicherte mir eine der begehrten Startnummern. Nach
dem Marathon New York 2009 war dies erst der zweite Marathon, den ich
reisetechnisch nicht selbst organisierte. Das war
aus mehreren Gründen eigentlich sinnvoll. Zum Einen hat man die sonst nur mit
Glück zu bekommende Startnummer sicher
und die Probleme mit der Anreise vor Ort sind auch gelöst. Der Marathon du Médoc
startet in relativ kleinen Ort Pauillac,
circa 52 Kilometer nördlich von Bordeaux. Da muß man erst einmal hinkommen.
Sowohl zum Marathon als auch am Tag zuvor
zur Startnummernausgabe und Abends zur mehrstündigen Pastaparty und am Tag
danach zur traditionellen Weinwanderung.
Und wenn man kein eigenes Auto hat, dann hat man ein Problem.
Also buchte ich über Interair. Aus "ab € 558,00" wurden zwar schnell € 907,00
wegen der Ausflüge, aber dafür war immerhin
die Anreise ab Frankfurt mit drin.
07.03.2014
Die Anreise ab Frankfurt war nun nicht mehr im Preis mit drin. Von InterAir
kam die Information, daß ich mich doch bitte selbst
um die Anreise kümmern solle. Bei der Buchung wäre man mir gerne behilflich.
10.03.2014
Die Kosten der bei InterAir gebuchten Anteile stiegen trotzdem auf € 982,00.
€ 75,00 kostet alleine die Pasta-Party. Denselben
Betrag wird man für die Weinwanderung los. Den Ausflug zur Dune du Pyla und nach
Arcachon kostet hingegen nur € 28,00.
Immer inklusive Bustransfers. Für die französischen Wucherpreise kann aber
InterAir nichts.
13.03.2014
Die Anreise nimmt Formen an. Der ursprüngliche Plan war: Mittwoch mit dem
Zug nach Frankfurt, dann mit dem InterAir zum
Hotel bei Bordeaux.
Der neue Plan: mit der S-Bahn zum Flughafen, von Hamburg per Flugzeug nach
Paris, dort mit dem Flughafen-Shuttle von
Terminal 3 nach Terminal 1, von dort bei Zug nach Paris, dort Umsteigen in die
Metro, Wanderung zum Hotel, Übernachtung,
Wanderung zum Bahnhof Montpernasse, Zug nach Bordeaux, Straßenbahn zum Place des
Quinconces, per Bus nach Mérignac
und Wanderung zum Hotel. Dauer: ca. 26 Stunden.
28.04.2014
Ein erstes ärztliches Attest war in irgendeinem Nirvana verschollen. Im
zweiten Anlauf klappt es dann doch. Dafür ist jetzt meine
Marathon-Registrierung verschwunden.
17.06.2014
Die Zugfahrt von Paris nach Hamburg als Abschluß der Rückreise ist auch
gebucht. Da ich zurück mehr Zeit hatte, konnte ich da
auf den Umweg Flughafen verzichten und fuhr nur via Mérignac, Place des
Quinconces, Bordeaux St. Jean, Paris Montpernasse
Paris Est direkt nach Hamburg. Die Kosten für die Reise haben längst jede
Schmerzgrenze überschritten. Das kann ein Masken-
Marathon in Frankreich gar nicht wert sein. Dafür hätte ich vier oder fünf
Marathon-Reise in vernünftige Länder organisieren
können mit nur einem Bruchteil des Aufwandes und Ärgers.
27.08.2014
Nach wochenlangen vergeblichen Versuchen durfte ich nun endlich meine
Zugfahren von Paris nach Bordeaux und zurück buchen.
Statt der versprochenen € 38,00 kosten die Fahrten nun € 108,00. Vielen Dank.
29.08.2014
Die Reiseunterlagen von InterAir treffen ein. Endlich einmal etwas ohne
Probleme. Damit wäre die Vorbereitung soweit geschafft.
07.09.2014
Sechs Tage vor dem Marathon laufe ich beim 25. Alsterlauf in Hamburg eine
neue persönliche 10-Kilometer-Bestzeit. In geradezu
unglaublichen 39:36 Minuten rase ich über die Strecke.
Und war die Vorfreude auf die Reise nach Frankreich schon bis dato nie so
richtig hochgekocht, nun geriet der Trip noch ein wenig
mehr aus dem Lampenlicht.
09.09.2014
Der nächste Fahler, der sich noch mächtig rächen sollte. Zu jedem Marathon
schleppe ich eigene Getränke mit. Meist auch etwas
zu essen. Der einfache Grund: man kann ja nie wissen, ob man vor Ort etwas
bekommt, wenn es drauf ankommt. Das macht ein
Zusatzgewicht von fünf bis sechs Kilo aus. Nun schauen wir uns die Anreise an
(siehe 13.03.2014). Bei diesem völlig irrsinnigen
Anreise-Programm würden mich diese zusätzlichen Kilos extrem belasten. Außerdem
ist Paris eine Millionenstadt und Bordeaux
immerhin noch eine Stadt mit 450.000 Einwohnern. Da sollte es doch Essen und
Trinken geben.
Von all den Sätzen, die ich über den Marathon du Médoc jemals verloren haben,
waren die beiden vorherigen die, die ich am
meisten bereuen würde und bis heute bereue.
10.09.2014 (Hamburg)
JUHU! Die Piloten streiken. Ich könnte kotzen. Jetzt kommen mir auch noch
die Scheiß-Gewerkschafts-Bonzen in die Quere.
Und schönen Dank an InterAir, daß man die bequeme Busanreise abgesagt hat.
10.09.2014 (Paris)
Paris ist eine Millionenstadt, da wird es doch etwas zu essen geben. Naja...
wenn man nicht zu spät kommt oder bereit ist, sich
in ein Restaurant zu setzen, dann vermutlich ja. ich jedenfalls blieb hungrig.
Vielleicht hätte ich lieber schon am Flughafen die
Augen aufhalten sollen, aber dann hätte ich das Zeug ja alles schleppen müssen
und Paris ist schließlich eine Millionenstadt
und da wird es doch etwas zu essen geben. Und wenn nicht? Am nächsten Morgen im
riesigen Bahnhof von Montpernasse wird
es schon etwas geben.
11.09.2014 (Paris-Montpernasse)
Ja, es gab etwas zu essen und zu trinken. am Bahnhof Montpernasse.
Allerdings waren die Preise dermaßen abartig, daß mir
alles verging. Ein simples Croissant für € 3,50?? Oder ein Baguette (trocken)
für € 2,50?? Aber eine irre lange Warteschlage.
Normalerweise würde ich da fragen, ob die Franzosen total bekloppt sind, aber da
gab es ja noch nie Zweifel.
Ich kaufte mir da lieber zu normalen Bahnhofspreisen Schokolade und Pringles
sowie Coca-Cola und steig in den Zug nach
Bordeaux. Da würde ich dann durch die Stadt laufen und im Supermarkt etwas
finden.
11.09.2014 (Bordeaux)
In vier Stunden Sightseeing Bordeaux habe ich viel gesehen. Aber nichts, was
man als Supermarkt oder so ansehen könnte.
Vielleicht war es nicht so klug, nur die Sehenswürdigkeiten abzuklappern und
diese auf dem jeweils kürzesten Weg miteinander
zu verbinden. Aber in Mérignac würde es dann doch wohl etwas geben. Schließlich
leben da jede Menge Leute und die müssen
auch etwas essen und trinken.
11.09.2014 (Mérignac)
15.31 UhrAnkunft im Hotel Novotel in Mérignac bei Bordeaux. Was war denn
das? Der Zimmerpreis von jenseits € 150,00
schien ja noch auf eine zentrale Unterkunft schließen, aber tatsächlich stand
ich im totalen Nirvana. Soweit ich blicken konnte
gab es nur noch mehr völlig überteuerte Hotels und Industrie und Büros. Was für
eine Scheiße war das denn? Für diesen
Mondpreis hätte man doch wohl eine Unterkunft in Bordeaux bekommen können. Zwar
war man näher am Marathon-Startort
dran, aber ob nun 52 oder nur 41 Kilometer war doch wohl egal.
15.59 Uhr: Ein lockerer
Trainingslauf durch Mérignac. Ziemlich heiß und oft ohne Fußgängerweg. Die
Franzosen investieren
das Geld lieber in diese bescheuerten Verkehrskreisel. Alles ist vollgekreiselt.
17.33 Uhr: Lediglich zwei
Kilometer vom Hotel hatte ich einen Lidl entdeckt. Erst denke ich an eine Fata
Morgana, da ich
vom Lauf in der Hitze doch extrem durstig war, aber es war tatsächlich einer.
Gleich nach dem Lauf mache ich mich auf den
Weg zum Einkaufen.
17.51 Uhr: Ich kriege eine
Krise nach der anderen. Elf Jahre mache ich nun schon Marathon-Reisen und
endlich habe ich mal
einen Wasserkocher auf dem Zimmer. Und bei Lidl gibt es eine Nahrung, die man
sich mit Hilfe eines Wasserkochers fertig
machen könne. Warum nicht? Weil das Wasser so nicht genießbar sei. Und wozu habe
ich dann einen Wasserkocher???????
KREISCH!! Immerhin gibt es Getränke. Nun ja... Wasser gibt es... und Alkohol...
und Coca-Cola in Dosen. Keine Iso-Getränke
oder so. Coca-Cola in Dosen. Was zum Henker...?? Während ich so leide vor mich
hin wimmere kommt der "dann gehe ich eben
in den nächsten Laden"-Reflex-Gedanke. Als mir dann einfällt, daß ich in
Frankreich bin und es keinen nächsten Laden gibt
kriege ich das Heulen. In was für eine Scheiße war ich hier bloß hineingeritten?
18.22 Uhr: Geht nicht
mehr schlimmer? HA! Rückweg von Lidl zum Hotel. Links vom Weg schaue ich wie
zufällig auf einen
der vielen Möbelläden der Umgebung. Auch wenn ich es nicht genau erkenne, das
Glas-Foyer zieht mich an. Und ich glaube
es nicht. Im Foyer steht ein Getränkeautomat. Coca-Cola, Fanta, Sprite in
Flaschen (!!) und sogar Isostar. Am Ende eines
langen Irrweges war ich endlich im Paradies gelandet. Ok... ich hatte kein
Kleingeld. Neues Problem. Also rein in den Laden
und an der Kasse nach Kleingeld gefragt. Dort wechselte man mir auch tatsächlich
€ 20,00 in Münzen um. Schnell raus zum
Automat. Geld rein... nichts. Hmmm... Schüttel. Rüttel. Geld rein... nichts. Ähm...
Geld rein... NICHTS... Nach dem vierten
Versuch erschein dann ein Schild, daß der Automat kaputt wäre.
Über das, was sich in den folgenden Minuten im Foyer des Möbelladens abspielte,
möchte ich lieber nicht sprechen.
18.55 Uhr: Zurück im Hotel
hatte ich nun Dosen-Getränke und Baguettes und Schokolade. Na super. Aber im
Hotelpreis
war ja Frühstück mit drin. Am nächsten Morgen würde es dann zu essen geben und
dann würde alles besser.
12.09.2014
7.55 Uhr: So ein Hotel in ein Gewerbegebiet abseits von jeglicher
Zivilisation zu stellen muß in Frankreich extrem teuer
sein. Von dem wahnwitzigen Übernachtungspreis war jedenfalls für Frühstück nicht
wirklich etwas über. Da bekomme ich
in jeder deutschen Billigabsteige mehr Quantität und mehr Qualität. Man konnte
da alles werden, aber nicht satt.
9.30 Uhr: Abfahrt zur Dune du
Pyla. Da würde es doch wohl einen Kiosk geben oder was auch immer. Keine Ahnung.
Essen halt. Aber bevor man dort ankam, mußte ich im Bus noch eine Tortour aus
Verkehrskreisel über mich ergehen
lassen. Anfahren, bremsen, Kurve rechts, Kurve links, Kurve rechts, Gas geben,
wieder bremsen, Kurve rechts links
rechts... mir war schon schlecht als der Bus an der Dune du Pyla ankam.
10.35 Uhr Ankunft: Dune du
Pyla. Kiosk ja, Getränke auch, aber kein Essen außer Chips. Da ich ja plante,
von der Düne
nach Arcachon statt noch mehr Kreisel im Bus lieber frische Luft beim Laufen zu
schnuppern, ließ ich das Einkaufen sein.
11.14 Uhr: Ein schöner Lauf
von der Düne Dune du Pyla zum Bahnhof von Arcachon. Ich wäre ja gerne früher
losgelaufen,
aber der mp3-Player spinnte. Und ich wäre sicherlich schneller in Arcachon
gewesen, wenn der Fotoapparat nicht ständig
wirre Fehlermeldungen von sich gegeben hätte. Es klappte aber auch gar nichts.
12.20 Uhr: Ankunft Arcachon. Der Bus mit den anderen InterAir-Leuten war
knapp schneller. Während die anderen den
Ort mit Reiseleitung anschauen wollen, gehe ich lieber an den Strand und ziehe
mich um und schaue mir den Ort alleine
an. Nach nur einer Stunde finde ich auch tatsächlich einen Kiosk, der mir
Getränke verkauft, ohne daß ich gleichzeitig
eine Pizza oder ein anderen kostspieliges Menü mitkaufe. Den Liter Orangensaft
leere ich fast auf Ex, ohne daß der
Durst auch nur ansatzweise gestillt würde. Obendrauf kommt ein halber Liter
Coca-Cola.
14.07 Uhr: Ein zweiter Kiosk
mit Solo-Getränke-Verkauf. Ich habe eine Glückssträhne, kaufe Fanta und
Coca-Cola,
also das komplette Sortiment.
14.17 Uhr: Ich bin zu spät im
Bus. Man muß dazu sagen, daß ich sehr wohl pünktlich am vereinbarten Treffpunkt
war.
Dort war ich aber alleine. Der Bus stand ganz wo anders. Trotzdem schiebt man
mir die Schuld zu. Ach wie lustig, ein
Bus voller angeheiterter Touristen, die sich über einen lustig machen.
15.15 Uhr: Nach knapp einer
Stunden durch die Kreisel des Landes steige ich etwas weiß aus dem Bus. Aber im
Hotel
wartete ja mein am Vortag gekauftes Essen auf mich.
15.25 Uhr: 21 Stunden altes
französisches Baguette ist im Gegensatz zu deutschem Baguette auch bei
sachgemäßer
Lagerung nur noch als Baseballschläger verwendbar. Toll. Aber egal. Nun war es
ja nicht mehr lange hin bis zur Pasta-
Party und da würde es auf jeden Fall etwas zu essen geben. Die Zeit würde ich
nun auch noch überleben.
16.00 Uhr: Infoveranstaltung
der InterAir mit Startnummernausgabe im Quality Suites Hotel, 300 Meter von
meinem
Hotel entfernt. Das war die noch teurere Variante, die es bei der Buchung zur
Auswahl gab.
16.15 Uhr: Nach einem zehn
Jahre alten Film-Bericht über einen früheren Marathon du Médoc gibt es ein Glas
Rotwein
zur Begrüßung.
16.20 Uhr: Auf dem Weg zum
Tisch mit dem Startnummern wird mir schlecht. Der Kreislauf geht in die Knie.
Das ist bei
mir nicht so ungewöhnlich und passiert gerade bei großer Hitze wie an dem Tag
schon mal. Allerdings geht es dieses
Mal recht schnell. Ich schaffe es aber noch aus dem Raum und über den Flur auf
ein Sofa. Dort lege ich mich hin und
kann so den totalen Zusammenbruch abwenden.
16.30 Uhr: Wenn nur genug
Läufer zusammen kommen ist einer davon immer Arzt. Dieser wollte mich gleich mal
ins
Krankenhaus bringen lassen, aber inzwischen kann ich schon wieder sitzen. Auf
dem Sofakissen hat sich eine Schweiß-
Pfütze gebildet. Oh... das war heftig.
16.40 Uhr: Ich habe meine
Startunterlagen bekommen und mache mich alleine auf den Weg zurück in mein
Hotel. Dort
komme ich unbeschadet an und lege mich auf das Bett. Alles soweit wieder gut,
nur müde und matt und sonst nichts zu
tun als zu liegen und zu warten.
17.55 Uhr: Abmarsch zum Bus,
der uns zur Pasta-Party bringen soll. Mir geht es wieder gut, abgesehen davon,
daß ich
mich weiterhin müde und schlaff fühle.
18.00 Uhr: Einstieg in den Bus. Soweit hatte ich es geschafft. Schnell noch hinsetzen, dann konnte nichts mehr passieren.
18.01 Uhr: Wieder falsch. Mit
wird wieder schlecht. Dabei war der Bus noch nicht einmal losgefahren. Von den
vielen
Verkehrskreiseln, die noch zwischen mir und der Pasta standen mal ganz zu
schweigen. Das war nichts mehr. Schnell
stehe ich wieder auf, verlasse den Bus und melde mich bei der Reiseleitung ab.
Vielleicht schaffe ich es ja noch bis ins
Hotel zurück.
18.02 Uhr: Nein, schaffe ich
nicht. Ich komme gerade noch bis zur anderen Straßenseite, dann kotze ich mir
die Seele
aus dem Leib. Dieser flüssige Mix aus Rotwein und Fanta und Coca-Cola erinnert
mich an Splatter-Filme. Schwallartig
kommt es mir immer und immer wieder während ich versuche, auf den Beinen zu
bleiben und das Hotel zu erreichen.
18.06 Uhr: Ich habe es
tatsächlich zurück in mein Zimmer geschafft, ohne dabei das Foyer oder den
Hotelflur zu... nun
ja... verunstalten. Statt ins Bett falle ich auf die Toilette.
20.30 Uhr: Nach einer Weile
der Ruhe geht es mit Durchfall weiter. Da sich das Waschbecken in einem
separaten
Raum befand, kotzte ich mir zeitgleich auf die Füße.
23.00 Uhr: Der große Vorteil
eines volumenmäßig begrenzten Magens ist der, daß irgendwann alles raus ist. Nun
lag
ich im Bett, konnte mich kaum noch rühren, ich war ebenso schlaflos wie müde und
alles was ich zu meiner Hilfe hatte
war Coca-Cola in Dosen. An jedem anderen Ort und in jedem anderen Kaff hätte ich
längst irgend etwas aufgetrieben.
Salzstangen, ein vernünftiges Getränk oder sonst irgendetwas zu essen oder zu
trinken, womit ich mir diesen ekeligen
Kotzgeschmack hätte wegspülen können. Aber ich wußte, daß es im Umkreis von zwei
Kilometern nichts gab, was mir
jetzt noch hätte helfen können. Der Flughafen war viel zu weit weg und
vermutlich inzwischen auch geschlossen. Ich
kam ja nicht einmal aufrecht bis zur Toilette.
13.09.2014
1.00 Uhr: Ich lag die ganze Nacht lang wach und dachte darüber nach, wie ich
es morgens schaffen sollte, bis in die
Hotel-Lobby zu kommen und der Reiseleitung zu sagen, daß ich nicht mit zum
Marathon kommen würde. Das waren
immerhin 50 Meter. Und ich schaffte es nicht einmal bis zur Toilette.
3.35 Uhr: Zum ersten Mal in
dieser Nacht schaffte ich den Weg bis zur Toilette, ohne daß mir dabei der
Kreislauf
wegbrach. Das war doch etwas Positives. Vielleicht würde ich es bis 7.00 Uhr
(Abfahrt des Busses) auch bis in die Lobby
schaffen. Und wer weiß, vielleicht würde es mir ja weiter besser gehen und ich
käme gar bis in den Bus. Die Idee schien
mir zwar sehr weit hergeholt, aber ich wollte lieber vorbereitet sein und
steckte meine GPS-Uhr ans Ladegerät.
5.00 Uhr: Ich päppelte mich
Schluck für Schluck mit Dosen-Coca-Cola auf. Das meiste davon blieb sogar im
Körper.
Und so fing ich ganz langsam an, meine Sachen für den Marathon zu packen. Auf
das mitgebrachte Bananen-Kostüm
würde ich definitiv verzichten. Stattdessen würde ich mir halt eine
Plüsch-Banane um den Hals hängen. Ein passendes
gelbes Shirt hatte ich ja dabei.
6.30 Uhr: Gegenüber dem Vortag
hatte ich 2,7 Kilogramm an Gewicht verloren. Eigentlich wiege ich am Marathon-
Morgen eher ein Kilo mehr als am Vortag. Ich hatte aber seit dem "Frühstück" am
Vortag keinen Bissen gegessen
und selbst danach hatte ich ja noch Hunger.
6.52 Uhr: Ich glaubte es selbst kaum, aber ich schaffte es tatsächlich bis vor das Hotel und auch bis in den Bus.
8.10 Uhr: Ankunft in Pauillac.
Die Fahrt hatte ich schon einmal überstanden. Auch wenn ich mich kaum raus aus
dem Bus
erst einmal setzen mußte.
9.10 Uhr: Das Gastspiel in der
Startaufstellung war kurz. Der Kreislauf ging mal wieder in die Knie. Dieses Mal
aber nicht
so heftig und daher reichte es vollkommen aus, daß ich mich eine Weile an den
Straßenrand setzte.
9.30 Uhr: Start des 30.
Marathon du Médoc. Bis ich dann auch endlich über die Startlinie kam, dauerte es
zwar eine Weile,
aber ich lief los. Damit war das Problem Kreislauf schon einmal gelöst. Aber
auch nur das...
Mein wahnsinniger Plan war es,
ganz ruhig und langsam über die Runden zu kommen und mich mit Hilfe der
Verpflegung
an der Strecke weiter aufzupäppeln. So würde ich etliche Kilometer joggend
verbringen und mich dann im Notfall gehend
ins Ziel schleppen. Wie auch immer. Das hatte ich schon oft genug geschafft.
Zuletzt im Juli in Polen. Da war ich zwar nicht
krank, aber es war ähnlich heiß und die Strecke dort hatte 3460 Höhenmeter.
Auf jeder anderen Strecke
dieser Welt hätte mein Plan vermutlich funktioniert. Ich hätte einen
stundenlangen Kampf
gegen mich selbst geführt und hätte es dann vermutlich sogar geschafft. Ich
hatte schon ganz andere Marathons noch
bis ins Ziel gebracht. Aber beim Marathon du Médoc geht das nicht. Man kann
nicht einfach laufen. Die Strecke ist
viel zu schmal und die Läufer sind viel zu viele. Du kannst dich in der Masse
mittreiben lassen oder gnadenlos
untergehen.
Ich lief die ersten fünf
Kilometer in der Masse mit. Am ersten Verpflegungsstand ergatterte ich einen
Schluck Saft.
Auf dem Boden fand ich auch jede Menge Brötchen, vielleicht sogar
Schokobrötchen, das war so genau nicht mehr zu
erkennen. Am zweiten Verpflegungsstand bekam ich gar nichts. Erst war gar nichts
da, dann warf irgendjemand einen
Sechs-Pack Wasser in die menge und die stürzte sich darauf, als wenn man
in einem Flüchtlingsheim mit Brot wirft.
Ein Chaos, wie ich es bei einem Marathon noch nicht erlebt habe.
Vor dem ersten Chateau gab es
einen Riesenstau. Mehr als 100 Meter stand das Feld auf der Straße fest, ehe es
dann ganz langsam weiterging. Endlich am Tor angekommen wählte ich den
längeren Weg um das Chateau herum,
denn drinnen war es noch viel voller. Auf der anderen Seite angekommen
ging es dafür um so schneller weiter.
Eigentlich zu schnell für mich, aber was sollte ich tun?
Der Marathon du Médoc ist im
Grunde ein großer Karnevalsumzug. Mit bunten Kostümen läuft man von einem
Chateau zum nächsten, trinkt etwas Wein und läuft dann weiter. In der Folge wird
zwischen den Chateaux natürlich
entsprechend viel schneller gelaufen als es die Zwischenzeit vermuten ließ. Man
kann grob sagen, daß selbst das
hintere Feld überwiegend aus Vier-Stunden-Läufern besteht, die endlos viel Zeit
an den Weinständen verbringen.
Durch die Chateaux kam ich
nicht durch wegen der Staus und zwischen den Chateaux wurde ich buchstäblich von
der Strecke gefegt. Theoretisch hätte ich mich mit flottem Wehen ja über die
Runden retten können, aber mit
langsamen Läufer hat man kein Mitleid. Ständig hörte ich von hinten ein lautes "Allez!
Allez!" und schon hatte ich
wieder einen Ellenbogen im Rücken, der mich von der Straße schubste. Auf dem
unbefestigten Rand oder gar im
Straßengraben (wie gesagt, die kennen kein Mitleid) konnte ich aber nicht
gehen. So hatte ich bei Kilometer 12 schon
so viel Rückstand auf einen Durchschnitt zum Zeitlimit von 6:30 Stunden, daß ich
die Sache eigentlich aufgeben
konnte. Aber aufgeben half ja nichts, ich mußte ja irgendwie wieder zum Start
zurück.
Der noch einfachste Weg zurück
zum Start war es, bei Kilometer 17,8 links abzubiegen. Von dort war es nur gut
ein Kilometer bis nach Pauillac. Da wollte ich noch hin, zumal dort auch die
Leute von InterAir stehen würden.
Nachdem mich so ziemlich das
ganze Feld überholt hatte, bekam ich endlich etwas mehr Platz zum Gehen. Nun
endlich kam ich auch in ein gleichmäßiges Tempo und ergatterte an den
Verpflegungsstellen auch etwas zu trinken.
Den Wein ließ ich natürlich stehen und trank Wasser.
Dann kam der Kilometer 17,8
und von hinten kam der Besenwagen. Seit dem Start war ich nun so 2:56 Stunden auf
den Beinen. 24,4 Kilometer bis ins Ziel. Bei einer Geschwindigkeit von circa 6,5
Km/h sollte ich es schaffen, hinter dem
Besenwagen zu bleiben und mich ins Ziel zu retten. Platz war nun genug und
irgendwo würde ich bestimmt noch etwas
zu essen finden oder mich einfach so durchquälen. Das hatte ich so oft schon
gemacht und mit meinem Dickkopf alle
Hindernisse überwunden. Da war es auch egal, daß es mir immer noch elendig
ging und der Magen murrte, daß ich
mächtig durstig war und daß es um mich herum bald 26°C im Schatten waren und
kein Schatten da war und es noch
heißer werden sollte. Ich kannte das und wenn die Beine nicht wollten, dann lief
ich eben mit dem Kopf. Denn ich
hatte ein festes Ziel vor Augen, welches mich durch jedes Problem zu treiben im
Stand war: Ich wollte meine
Medaille. Ich lief noch nie für das Laufen, ich lief für die Medaille.
2:56 Stunden für 17,8 Kilometer
plus 24,4 Kilometer mit 6,5 Km/h war eine Zielzeit von so 6:40 bis 6:45 Stunden.
Je nachdem, wie dieser Besenwagen genau fuhr. Die Zielzeit von 6:30 Stunden war
bei einem Feld, welches wohl
20 Minuten über die Startlinie brauchte, mehr als relativ. In dem
Informationen zum Marathon stand, daß jeder
Läufer, der ins Ziel käme, ein Geschenk erhielt und jeder Läufer, der
unter 6:30 Stunden blieb, eine Medaille. Nun
wäre ich vermutlich vor dem Besenwagen ins Ziel gekommen (und wenn ich ihn bei
Km 42,1 noch überholt hätte),
aber unter 6:30 Stunden wäre ich nicht geblieben. Und solche Regeln schreibt man
ja nicht ohne Sinn. Im Juli hatte
ich beim Złoty Maraton in Lądek-Zdrój
selbst erlebt, wie ein Läufer aus der Wertung fiel, nur weil er das Zeitlimit
von sieben Stunden um sieben Sekunden (!!) verfehlte.
Bei Km 17,8 konnte man
abbiegen und war nach circa einem Kilometer zurück an Start und Ziel. Lief ich
gerade aus,
würde ich bald keine andere Wahl mehr haben als immer weiter zu laufen, da weder
Umkehren noch Stehenbleiben eine
sinnvolle Option waren. Vier Stunden lang sollte ich mich noch durch die Hitze
quälen. War ich bisher von lustigen
Kostümen umgeben gewesen, wäre es fortan nur noch der Besenwagen und Läufer, die
nicht mehr konnten und zurück
fielen. Und all meine Hoffnung beruhte darauf, daß man mir im Ziel eine Medaille
überreichen würde, dessen ich mir
aber nicht sicher sein konnte. Wie denn auch? Seitdem ich diese Reise zu diesem
Marathon angefangen habe zu planen
wurde ich nichts als verarscht. Während immer wieder etwas neues passierte
rasten die Kosten unkontrollierbar davon.
Seit ich in diesem Frankreich angekommen war hatte nichts, aber auch überhaupt
nichts mehr geklappt. Das ganze war
eigentlich nichts als ein nicht enden wollendes Debakel.
Nein, ich glaubte nicht mehr
daran, daß man mir im Ziel eine Medaille geben würde. Ich hatte den Glauben
daran
verloren.
Um 12.35 Uhr stieg ich bei
Kilometer 17,8 aus dem Marathon du Médoc aus.
14.09.2014
Den Sonntag blieb ich dann im Hotel. Die Weinwanderung wollte ich nicht
mitmachen. Nach all dem Schwachsinn wollte
ich wenigstens einen Tag Ruhe. Essen und Trinken holte ich mir vom Flughafen.
15.09.2014
Nachdem ich den Morgen wieder mit Durchfall auf der Toilette verbracht hatte,
machte ich eine sehr langsame und
quälende zweite Sightseeing-Tour durch Bordeaux, ehe ich mich am Nachmittag auf
die Heimreise machte.
20.09.2014
Sieben Tage nach meinem Ausstieg beim Marathondu Médoc lief ich beim
HEK-Halbmarathon in Hamburg-Wandsbek
mit 1:32:05 Stunden eine neue persönliche Bestzeit, wobei ich die alte Bestzeit
um mehr als dreieinhalb Minuten unterbot.
05.10.2014
22 Tage nach dem Médoc-Debakel lief ich beim 10. swb-Bremen-Marathon eine neue
persönliche Bestzeit im Marathon.
Mit 3:13:11 Stunden knackte ich meine alte Bestzeit vom Hamburg-Marathon 2012 um
unglaubliche 6:16 Minuten. Der
Marathon in Bremen war mein 125. reiner Marathon und mein 127. Marathon
insgesamt.
Den Ausstieg beim Marathon du
Médoc hätte ich recht einfach vermeiden können. Ich hätte morgens im Bett
bleiben
können. Krank genug war ich ja. Magenprobleme der üblen Art und keine Minute
geschlafen, nichts gegessen und kaum
etwas getrunken. Noch an der Startlinie machte der Kreislauf Ärger. Lauffähig
war ich nicht.
Bei jedem "normalen" Marathon
wäre ich unter den Umständen auch im Bett geblieben. Aber der Marathon du Médoc
ist nicht normal. So habe ich zumindest mal den Start mitgemacht und sehr viele
tolle Kostüme gesehen. Auch einen Teil
der Chateaux habe ich gesehen, darunter das Chateau Lafite Rothschild. Damit
hatte sich zumindest das Mitlaufen für
mich gelohnt und das ganze Geld war nicht völlig umsonst ausgegeben worden.
Ob ich noch einmal nach Médoc
reise? Gänzlich ausschließen will ich das nicht, aber dann organisiere ich die
Anreise
selbst. Leider müßte ich dann auch wieder das Frankreich, aber so lange es da ja
auch noch den Paris-Marathon gibt,
kann ich eine Reise dorthin ohnehin nicht gänzlich ausschließen.
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